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Titel
Behördenconsulting. Unternehmensberater in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik, 1970er- bis 2000er-Jahre


Autor(en)
Marktanner, Alina
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Löffelbein, Institut für die Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Wie in vielen westlichen Ländern entstand in der westdeutschen Staatsverwaltung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein anhaltender Modernisierungs- und Rationalisierungsdruck, der im Laufe der Jahrzehnte zu zahlreichen Reforminitiativen führte. Von der Forschung ist hier bereits herausgearbeitet worden, dass sich spätestens seit der ersten Ölkrise 1973 der politische Planungsoptimismus der sozial-liberalen Koalition erkennbar abzuschwächen begann, womit auch der Glaube an den Staat als zentrale Steuerungs- und Problemlösungsinstanz erkennbar an Zugkraft verlor. In den Blick rückten im Laufe der 1970er Jahre nun zunehmend die Aktivitäten multinationaler Unternehmen, die vielen Beobachtern im Gegensatz zu den staatlichen Verwaltungen innovative und zeitgemäße Rezepte für eine Reform der bürokratischen Strukturen bereitzustellen schienen.1

Für Deutschland ist dieser sich bis in die Gegenwart fortsetzenden Transformation der öffentlichen Verwaltung von der historischen Forschung bislang nur punktuell Beachtung geschenkt worden.2 Die 2022 als Monographie erschienene Dissertation von Alina Marktanner nimmt sich erstmals dieses Desiderats an, wobei sie ausdrücklich an die „Nach-dem-Boom“-Debatte der letzten Jahre und den hier postulierten Strukturwandel in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit den 1970er-Jahren anknüpft.3 Die Autorin konzentriert sich in ihrer Studie auf das „Behördenconsulting“, worunter Marktanner die Beratung von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland durch private Firmen der Unternehmensberatung fasst. Der Aufstieg dieser auf den öffentlichen Sektor spezialisierten Dienstleistungs-Branche fiel in eine Phase klammer werdender Haushalte und fehlender finanzieller Spielräume seit der ersten Ölkrise 1973, was die öffentliche Verwaltung zunehmend unter Druck zu setzen begann. Gewinnorientierte Beraterfirmen – von denen McKinsey & Company wohl die bekannteste darstellt – boten Behörden und Verwaltungen Unterstützung bei der Optimierung bürokratischer Arbeitsprozesse, der Einführung neuer Technologien und einer generellen Effizienzsteigerung im Verwaltungswesen.

Marktanner grenzt ihren Untersuchungsgegenstand klar von der klassischen Politikberatung durch Ökonomen ab, da die Tätigkeit der Unternehmensberatungen gerade nicht auf das Feld der Wirtschaftspolitik zielte, sondern auf die Ebene der Hoheits- und Leistungsverwaltung. Ebenso verfolgten die „Consultants“ anders als politikberatende Wissenschaftler in den diversen Sachverständigenräten der 1970er-Jahre keine eigene inhaltliche Agenda, sondern passten sich sachlich und kommunikativ flexibel den Herausforderungen im Sinne einer optimalen, praxisfähigen und vor allem zeitnahen Problemlösung an. Die Studie stützt sich auf eine breite Quellenbasis aus Archivmaterial und publizierten Schriften. Unterlagen aus den relevanten Unternehmensarchiven konnte die Autorin hingegen nicht einsehen. Ergänzend wurden daher zehn Zeitzeug:innen-Interviews mit damaligen Entscheidungsträgern der Consulting-Firmen geführt, um die Unternehmenssicht in die Untersuchung einzubeziehen.

Insgesamt geht es der Autorin natürlich nicht nur darum, die Geschäftsbeziehungen der öffentlichen Verwaltung mit kommerziell agierenden Consulting-Unternehmen auszuleuchten. Am Beispiel der Verwaltungsberatung sollen vielmehr grundlegende Transformationsprozesse in Wirtschaft und Staat von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart nachgezeichnet werden, hier im Speziellen die Neuaushandlungen des Politischen durch wirtschaftliche Politikberatung. So betraten die Unternehmensberater wohl nicht zufällig in einer Zeitspanne die politische Bühne, als sich wissenschaftsgestützte Expertenkommissionen in der politischen Sphäre bereits auf dem Rückzug befanden und angesichts der anschwellenden gesellschaftlichen Bürokratiekritik auch in Deutschland der Ruf nach mehr Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Kostenersparnis in der Staatsverwaltung lauter wurde.

Marktanners Ausgangsthese lautet kurz gesagt, dass die kommerzielle Behördenberatung über die Jahrzehnte in Deutschland zu einer verbreiteten Regierungspraxis wurde, wobei es ihr vor allem darum geht, die Rolle der Beratungsfirmen innerhalb der komplexen Aushandlungsprozesse zwischen den jeweiligen Regierungen, den Verwaltungsspitzen und der Öffentlichkeit zu bestimmen. In einem einführenden Kapitel wird zunächst die Entwicklung der westdeutschen Beratungsbranche seit den 1950er-Jahren skizziert und gezeigt, dass diese nach einer längeren Entwicklungsphase in den frühen 1970er-Jahren in der BRD einen ersten Boom erlebte. Während amerikanische Großfirmen wie McKinsey ihren Einfluss in Europa kontinuierlich ausbauten und sich vornehmlich auf die Beratung von Großkonzernen konzentrierten, wandten sich die kleineren deutschen Unternehmen etwa zeitgleich dem öffentlichen Dienst als Nischenmarkt zu. In den Folgekapiteln konzentriert sich die Autorin auf drei aussagekräftige Fallbeispiele, die in einer chronologisch angelegten Kapitelstruktur untersucht werden und verschiedene Etappen und Durchdringungsgrade in der Kooperation zwischen Veraltung und Beratungsbranche markieren: Die Deutsche Bundespost in den frühen 1980er-Jahren, das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen in den 1990er-Jahren und die Bundesanstalt für Arbeit in den Jahren nach der Jahrtausendwende.

Wie die ausgewählten Untersuchungsfelder deutlich machen, rückte die Verwaltung erst sukzessive in den Fokus der Consulting-Branche: Mit der Deutschen Bundespost nahm nicht zufällig Anfang der 1980er-Jahre zunächst ein Unternehmen der öffentlichen Hand die Dienste externer Berater in größerem Umfang in Anspruch, um angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage die Kostenstruktur zu optimieren. Durch ihre enge Zusammenarbeit mit der Bundesverwaltung empfahlen sich die beteiligten Firmen wie Mummert + Partner AG als effektiv arbeitende Kooperationspartner und konnten in der Folgezeit zahlreiche weitere staatliche Aufträge akquirieren. Für das nord-rheinwestfälische Schulministerium stellten externe Auftragsgutachten in den 1990er-Jahren bereits ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument dar, um den geplanten Personalabbau im Bildungssektor zu forcieren. Der kommerziellen Beratungsbranche gelang es durch die Beteiligung in NRW zudem flächendeckend, sich in der Verwaltung einen zukunftsträchtigen Zielmarkt zu sichern. Unter der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders waren Behördenconsultants schließlich endgültig in der politischen Mitte angekommen. Gegen deren zentrale Beteiligung beim Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zum „modernen Dienstleister“ (S. 202) regte sich Anfang der 2000er-Jahre dementsprechend kaum noch Widerstand, wobei die Innen- und Außenwahrnehmung der Beratungsarbeit weit auseinanderklafften. So erfuhren die beauftragten Marktführer, McKinsey & Company und Roland Berger Strategy Consultants, in der Öffentlichkeit massive Kritik, da sie angesichts der polarisierenden Arbeitsmarktreformen gemeinhin als skrupellose und gewinnorientierte „Ausbeuter*innen“ (S. 202) wahrgenommen wurden.

Insgesamt beschreibt die Autorin die Zusammenarbeit zwischen Leistungsverwaltung und Wirtschaftsberatern als eine Art Tauschgeschäft. So kommt Marktanner zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es den verwaltungspolitischen Akteuren bei der Zusammenarbeit mit externen Consultingfirmen letztlich nicht unbedingt um konkrete Handlungs- und Reformempfehlungen ging, sondern man vielmehr versuchte, den eigenen Kurs durch den Verweis auf vermeintlich neutrales Expertenwissen zu legitimieren und sich so gegen Kritik etwa seitens der Arbeitnehmerverbände oder Gewerkschaften zu immunisieren. Die externen Gutachten dienten der Verwaltung so nicht selten als eine Art Feigenblatt, um eine scheinbare Objektivität des eigenen Handelns zu suggerieren und den Sparkurs dabei als sachlich einzig vertretbaren Weg zu kennzeichnen. Den beratenden Unternehmen bescherte die Kooperation mit den obersten Bundes- und Landesbehörden im Gegenzug wiederum eine sichtbare Aufwertung der eigenen Branche, monetäre Gewinne und nicht zuletzt die Aussicht auf weitere Aufträge im Verwaltungswesen.

Dankenswerterweise wird der unreflektierte Umgang mit politisch aufgeladenen Schlagwörtern wie „Neoliberalisierung“ in der Studie vermieden. Marktanner zufolge sind die privatwirtschaftlichen Beratungsfirmen demnach nicht als bloße „Agenten“ einer tiefgreifenden Ökonomisierung der Verwaltungslandschaft zu bewerten. Zwar beförderten sie ökonomische Logiken innerhalb der verwaltungspolitischen Entscheidungsprozesse, da die ergriffenen Maßnahmen wie Stellenabbau und Kosteneinsparung langfristig zu mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit führen sollten. Grosso modo blieben die zugrundliegenden Strukturen des politischen Systems der Bundesrepublik davon jedoch unangetastet. Gerade im internationalen Vergleich fand eine flächendeckende Implementierung privatwirtschaftlicher Strukturen in der Ministerialbürokratie nicht statt.

Marktanner hat insgesamt eine kluge und kenntnisreiche Studie vorgelegt, die in jeder Hinsicht zu überzeugen mag. Als kleiner Wermutstropfen bleibt die fehlende Aktensichtung in den relevanten Unternehmensarchiven, die die Motivlagen und Entscheidungsprozesse der Consultingfirmen möglicherweise noch besser ausgeleuchtet hätte. Insgesamt leistet die Studie jedoch ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte der alten Bundesrepublik und des wiedervereinigten Deutschlands, die detailliert das sich wandelnde Verständnis von Staatlichkeit, Regierbarkeit und Reformbildung in der Zeit „nach dem Boom“ analysiert.

Anmerkungen:
1 Johannes Löhr, McKinsey auf der Hardthöhe: Unternehmensberater im Bundesministerium der Verteidigung 1981/82, in: Administory: Zeitschrift für Verwaltungsgeschichte 6 (2021), S. 151-171, https://doi.org/10.2478/adhi-2022-0002.
2 Nils Löffelbein, „Verwaltungsführung im Wandel“ – Die westdeutschen Debatten um neue Führungs- und Managementtechniken in der Staatsverwaltung (1960er bis 1990er Jahre), in: Christoph Nübel (Hrsg.), Themenschwerpunkt Armee und Bürokratie. Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert, Portal Militärgeschichte, 28. September 2020, https://www.portal-militaergeschichte.de/loeffelbein_verwaltungsfuehrung; Löhr, McKinsey; aus politikwissenschaftlicher Sicht siehe etwa Wolfgang H. Lorig, Modernisierung des öffentlichen Dienstes. Politik und Verwaltungsmanagement in der bundesdeutschen Parteiendemokratie, Opladen 2001.
3 Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael, Nach dem Boom Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008.

Kommentare

Redaktionsnotiz

Von Prinz, Claudia28.07.2023

Redaktioneller Hinweis vom 26.07.2023: In der am 20.07.2023 veröffentlichten Erstfassung dieser Rezension fehlte die Literaturangabe in Anmerkung 1. Die Quelle wurde vom Rezensenten nachgetragen, der Text geringfügig überarbeitet.


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